Audiovisuelles Archiv
Das audiovisuelle Archiv von Hans Himmelheber umfasst eine Vielfalt an Bild- und Tonträgern. Film- und Fotokameras waren ständige Begleiter auf seinen Reisen und wichtige Arbeitsinstrumente. Das Film- und Tonarchiv kann als Ergänzung zum Fotoarchiv gelesen werden, da oftmals dieselben Situationen aus unterschiedlichen Perspektiven fotografiert und gefilmt wurden. Unabhängig davon können aber ganz eigene Fragen an das audiovisuelle Archiv gestellt werden.
Lisa Roulet
17.03.2023
Das audiovisuelle Archiv besteht aus Filmen mit den dazugehörigen Tonspuren aus den Jahren 1955 bis 1976 sowie älteren Audioaufnahmen. Bereits auf seine zweite Reise 1935 an die Côte d'Ivoire nahm Himmelheber einen Wachswalzenphonographen mit, um Gesang und Musik aufzunehmen.1 1958 veröffentlichten Hans und Ulrike Himmelheber zudem ein Buch zur Kunst aus der Dan-Region, welchem eine Schellackplatte mit Musikbeispielen beigelegt wurde.2 Mithilfe von TonbandgerätenA und B nahm Himmelheber bei späteren Reisen neben Bildern und Filmen auch Musik und Gesang auf.
Ein Grossteil des Filmmaterials entstand 1968 im Auftrag und in Zusammenarbeit mit dem Göttinger Institut für den Wissenschaftlichen Film (I.W.F.). Neben fertig edierten Filmen und längeren Filmarbeiten befinden sich im Archiv auch viele kürzere Filme sowie aussortierte Schnittreste, «Abfälle»3 und Bruchstücke.
Neben Himmelheber haben oft auch seine Begleiter*innen gefilmt und fotografiert. Sie erschienen deshalb oft unabsichtlich in den Fotografien und Filmen der anderen.
Ein solches Beispiel sieht man in den Filmaufnahmen von Werner Schaufler. Schaufler war Biologe und hat Himmelheber während der Reise 1955/56 nach Liberia begleitet. Er war für den Erwerb von für den Verkauf gedachten Tierschädeln zuständig sowie fürs Filmen und für TonaufnahmenC und D.4 Als Schaufler einen Maskenauftritt filmt, ist im Hintergrund Himmelheber zu sehen, wie er den gleichen Moment aus einer anderen Perspektive aufnimmt.5 Solche Handlungen, bei denen mehrere Personen mit mehreren Kameras denselben Moment festhielten, sind interessant und wurden beim Katalogisieren der Fotografien mit dem Schlagwort «research activities» versehenE.
In der finalen Fassung des Films erscheinen diese Szenen nicht. Ausschnitte und Bruchstücke geben somit einzigartige Einblicke in den Arbeitsprozess Himmelhebers und seiner Mitarbeitenden und heben Personen hervor, deren Beiträge ansonsten versteckt bleiben würden. Zudem geben sie Aufschluss über Himmelhebers Schnittarbeit, die er im Unterschied zum Filmen und Fotografieren in den meisten Fällen allein leistete.
Im audiovisuellen Archiv gibt es Filme in verschiedenen Versionen. Beim Vergleich dieser Versionen werden Himmelhebers Eingriffe und seine aktive Rolle beim Erzeugen eines bestimmten Bildes von Afrika offenkundig. Wieder dient der Schaufler-Film als Beispiel. Im Archiv sind drei Versionen des Films vorhanden. Der finale Schnitt wird als «Original» betitelt. Zudem gibt es zwei frühere Versionen mit den Überschriften «Ausschuss» respektive «Bruchstücke».6 Anders als im Original, sind bei diesen früheren Versionen Forschungsaktivitäten zu sehen, aber auch Personen die Kleidung tragen, die auf den damaligen zeitgeschichtlichen Kontext verweist. Solche Ansichten wurden für den Originalfilm konsequent herausgeschnitten, um das Bild einer ländlichen, traditionellen Dorfidylle zu erzeugen.
Dies lässt sich anhand einer Szene, in der eine Frau ein Kleinkind
wäscht, gut nachvollziehen. Diese Szene kommt zwar im geschnittenen,
finalen Film vor, jedoch verkürzt. In der als «Ausschuss» betitelten
Version ist zu sehen, wie Himmelheber ins Bild tritt, um eine rote
Metallbox (evtl. Tee- oder Kaffeedose) wegzustellen. Danach kommt er von
der anderen Seite wieder ins Bild und interagiert mit der Frau.7 Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass Himmelheber ihr einen Geldschein gibt.8
Eine weitere Szene, die nur in der «Bruchstücke»-Version des
Schaufler-Films vorkommt, ist eine Szene, bei welcher George Tahmen mit
einem Aufnahmegerät eine Performance aufnimmt. Tahmen war ein wichtiger
lokaler Mitarbeiter Himmelhebers in Liberia. Diese und ähnliche Szenen
mit lokalen Helfern wurden jedoch aus den bisher gesichteten Filmen
stets herausgeschnitten.F Die einzig bisher gesichtete Ausnahme
bildet der Film mit der Bezeichnung «Dolm. Szene mit Tame und mir»,
ebenfalls 1955/56 von Schaufler aufgenommen. Es handelt sich um eine
Szene, in welcher Tahmen für Himmelheber, der eine Unterhaltung mit
Tahmens Vater führt, dolmetscht.
Himmelhebers Filmnotizen geben Auskunft darüber, wie unterschiedlich die Herangehensweise des Filmteams im Gegensatz zu seiner eigenen Filmpraxis war. Himmelheber hatte konkrete Vorstellungen zur Ästhetik des Filmens. Er kritisierte beispielsweise stark, wie das Filmteam des I.W.F. den Mati Tanz der Frauen filmte. Die am 20. Februar 1968 in Glekpleple aufgenommene Szene zeigt die Tänzerin BantiG, die von einem Frauenchor begleitet wird.9 Das I.W.F-Team filmte fast ausschliesslich von einem Autodach und einem Podest aus.H Dazu notierte Himmelheber10:
«Der Film ist interessant w. der Tanzkunst. Es fehlen Detailaufnahmen der tanzenden Füsse, und auch solche ihres Gesichtes und des Publikums, der Sängerinnen. Ganz ungeschickt ist das Filmen von oben und die Unbeweglichkeit der Kameras, die die Tänzerin nie vor ihrem Publikum zeigen. Es würde sich lohnen, den Film nochmals zu machen, dann bunt auf gleicher Ebene (nicht v. oben) mit vielen close-ups der einzelnen [sic!] sich bewegenden Körperpartien bes. d. Füsse.»
Die Tänze wurden stets eigens für die Filmaufnahmen inszeniert und während einer für die Filmarbeit günstigen Tageszeiten aufgeführt. Im Unterschied zum Filmteam befand sich Himmelheber als Filmer stets nahe am Geschehen. Um Close-Ups und individuelle Stile der Tänzer aufzunehmen, begab er sich jeweils ins Zentrum und wurde so selbst Teil der Aufführung. Um solche Praktiken sichtbar zu machen, sind Überreste und
Bruchstücke wichtig. Neben inhaltlichen Informationen – beispielsweise
zu Mitarbeitenden – ermöglichen sie ein neues Sehen und
Kontextualisieren.
Filmarchiv
Einige Filme von Hans Himmelhebers Reisen wurden im Rahmen der Ausstellung Afrikanische Meister - Kunst der Elfenbeinküste im Jahr 2014 digitalisiert und sind hier einsehbar. Gefilmt haben neben Hans Himmelheber auch seine Söhne Eberhard Fischer und Martin Himmelheber, die ihn auf einigen seiner Reisen begleiteten.
Werkverfahren
Performances
Filme für das Institut für den Wissenschaftlichen Film
Bibliografie
Himmelheber, Hans und Ulrike Himmelheber. Die Dan: ein Bauernvolk im westafrikanischen Urwald: Ergebnis dreier völkerkundlicher Expeditionen im Hinterland Liberias, 1949/50, 1952/53, 1955/56. Stuttgart: W. Kohlhammer, 1958.
Himmelheber, Hans. Dan (Westafrika, Elfenbeinküste): Frauentanz «mati.» Göttingen: Institut für den wissenschaftlichen Film, 1971.
Himmelheber, Martin: «Hans Himmelheber und die Technik (audio-visuelle Ethnologie)»,https://www.about-africa.de/ha... (zuletzt aufgerufen: 25.10.2022).
Guyer, Nanina: Wirkliche Momente, Visuelle Fiktionen: Anmerkungen zur Entstehung der Kongo-Fotografien von Hans Himmelheber, S. 52–71, in: Guyer, Nanina und Oberhofer, Michaela (Hg.): Fiktion Kongo: Kunstwelten in Geschichte und Gegenwart. (Ausst. Kat. Musuem Rietberg, Zürich), Zürich: Scheidegger & Spiess, Zürich, 2019.
1
Die Wachswalzen befinden sich im Berliner Phonogramm-Archiv.
2
Himmelheber, Hans und Ulrike Himmelheber. Die Dan: ein Bauernvolk im westafrikanischen Urwald: Ergebnis dreier völkerkundlicher Expeditionen im Hinterland Liberias, 1949/50, 1952/53, 1955/56. Stuttgart: W. Kohlhammer, 1958, S.8
3
Hans Himmelheber hat diese Filmstücke selbst als «Abfälle» bezeichnet und so beschriftet. Die Bezeichnung wirft interessante Fragen nach Himmelhebers eigener Archivierungspraxis auf, da diese Filme zwar als Abfall bezeichnet wurden, jedoch aufbewahrt wurden.
4
MRZ, Schriftenarchiv, HH.01-04-01, Unterlagen zur 7. Expedition (Liberia, Elfenbeinküste, Mali 1955/56): Vertrag zwischen Hans Himmelheber und Werner Schaufler, Heidelberg, 19.10.1955, S.1–3.
5
Film Nr. 11, Farbfilm 7. Exp., 35:39 min.
6
Die vollständige Bezeichnung der Filmrolle lautet: «Bruchstücke von Schauflerfilmen (7 Exp, Originale)» und «Farbfilm 7. Exp., Ausschuss des Originals Farbfilm 7. Exp. 2 Wahl, Zum zweitenmal ausgelesen Dez. 56 mit W. Schaufler».
7
Wenn in diesem Text afrikanische Personen, denen Himmelheber begegnete, ohne Namen beschrieben werden, ist dies, weil das Archiv bisher keine Hinweise auf ihre Namen gab. Dies ist eine tragische Gemeinsamkeit vieler Archive aus kolonialen Kontexten.
8
Bezahlungen der fotografierten und gefilmten Personen waren nicht unüblich und wurden in den Tagebüchern, wie auch im visuellen Archiv festgehalten.
9
Siehe den dazugehörigen Artikel E 1500/1970, Himmelheber, Dan: Frauentanz «mati».
10
Siehe Filmkartei, Reinschriften der Film-Protokolle bis 11. Exp.: Frauentanz Mati.