Debul
Teddy Pratt
01.12.2023
Die Performance Debul (Teufel) bezieht sich auf die Maskeraden-Tradition westafrikanischer Länder, die im Archiv von Hans Himmelheber dokumentiert ist. In zahlreichen Kulturen, Gesellschaften und Gruppen werden Masken und Kostüme eingesetzt, um die Identität und Autonomie der Menschen darzustellen.
Der von mir geschaffene und in gewisser Weise an die Sound-Suits von Nick Cave erinnernde Sound-Suit (Klanganzug) stützt sich auf künstlerische Praktiken in Sierra Leone. In meinem Sound-Suit vereine ich zwei Teile: Eine Körper- sowie eine Kopfbedeckung. Die verwendeten Materialien reichen von verschiedenen Textilien über weiche sowie harte Kunststoffe bis hin zu Weihnachtsdekoration, Draht, weichem Holz, Leim, Glocken sowie anderen Gegenständen, die Geräusche erzeugen. Einige Materialien wählte ich gezielt aus, während andere spontan hinzukamen, während ich arbeitete. Die aus dem Christentum stammende Weihnachtskugel stellt eine bewusste und gewollte Verbindung zu den Missionaren dar.
Die Performance mit dem Sound-Suit eröffnet mir transformative Dimensionen. Ich tauche in eine andere Identität ein und fühle mich wie in Trance. Alles um mich herum verschwindet, wenn ich die Grenzen von Körper und Kostüm verschwimmen lasse. Die Bewegungen in diesem Anzug erzeugen nicht nur visuelle, sondern auch akustische Reize. Glocken, Rasseln und andere geräuschbildende Elemente schaffen eine faszinierende, fast mythische Klangkulisse, welche die Performance begleitet. Mein Ziel ist es, einen energetischen und rituellen Tanz mit traditionellen Bewegungen sowie dramatischen Elementen zu zeigen, wobei ich bewusst die Interaktion mit dem Publikum suche.
Ich wählte gezielt drei Debul-Hunting- Musikstücke aus, die ich als kleiner Junge gerne gehört und teilweise heimlich mitgesungen oder gepfiffen habe. Diese Lieder, die mir als Christ untersagt waren, finden nun in meiner künstlerischen Arbeit einen Ausdruck.
Die Tradition mit den Masken hat einen starken Bezug zu der Zeit der Missionierungen. Für die Menschen war dies nicht einfach ein Ritual, sondern auch ein Protest, um die Missionare abzuschrecken und zu vertreiben. Die Kostüme wurden von den Missionaren als «Debul» bezeichnet, was so viel wie «Teufel» oder «Dämon» bedeutet. Durch die Maskenauftritte waren die Menschen in der Lage, Aufmerksamkeit zu erregen und einen Protest auszudrücken, der die Menschen dazu brachte, sich gegen die Unterdrückung zu erheben. Die Debul-Masken werden noch heute in verschiedenen westafrikanischen Ländern und auch in der Diaspora als Symbole des Widerstands gesehen. In Sierra Leone stärken die Maskentänze das Bewusstsein für die eigene Geschichte und das Kulturerbe, während gleichzeitig eine Distanz zur kolonialen Vergangenheit und Missionierung gewahrt wird.
Die Teilnahme am Black Swiss Art/ist Programm im Rahmen der Ausstellung Look Closer am Museum Rietberg war für mich eine einzigartige und teils ambivalente Erfahrung. Es war das erste Mal, dass ich mich intensiv mit einem (post)kolonialen Archiv auseinandergesetzt habe.
Während meiner Residenz konzentrierten wir uns auf die Sammlung des deutschen Ethnologen Hans Himmelheber, die mittlerweile im Besitz der Stadt Zürich ist und historische Texte, Kunstobjekte, Fotografien und Videoaufnahmen aus den Jahren 1930 bis 1970 umfasst. Beim Anschauen der Himmelheber-Filme empfand ich gemischte Gefühle. Von Enttäuschung über Trauer bis hin zu Wut war alles dabei. Wie auch andere Ethnologen filmte und zeigte Himmelheber Praktiken und Rituale, die denjenigen vorbehalten bleiben sollten, welche diese auch ausüben. Mir wurde bewusst, wie wichtig es ist, dieses Archiv kritisch zu betrachten. Hans Himmelhebers Aufnahmen minderten die Exklusivität afrikanischer Rituale und Tänze, indem sie diese einem europäischen Publikum vorstellten. Bemerkenswert dabei ist, dass darunter Momente waren, die zuvor niemals gefilmt oder fotografiert worden waren. Die Frage, ob Betrachter dies lediglich als Unterhaltung oder als ernsthafte Auseinandersetzung mit der afrikanischen Kultur betrachten, bleibt offen. Da diese Aufnahmen nun existieren, sollten diese als Gelegenheit dienen, das Verständnis für andere Kulturen zu vertiefen und die eigene Kultur zu reflektieren. Eine gründliche Betrachtung könnte nicht nur zu einer Wertschätzung der afrikanischen Kultur führen, sondern auch das Bewusstsein für ihre Bedeutung und ihren Einfluss auf die Menschen in Afrika schärfen. In der Auseinandersetzung mit diesem Archiv konnte ich an meine künstlerische Praxis anknüpfen und so entstand während meiner Residenz, die Arbeit Debul.
Ich schaffe Skulpturen und male, inspiriert von kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Aspekten. Durch gezielte Formen und Muster verknüpfe ich konzeptionell verschiedene Projekte. Mythologien, höhere Mächte und alternative menschliche Schöpfungen beeinflussen meine Werke. Dabei thematisiere ich ästhetisch und historisch die Dominanz der westlichen Kultur. Ich arbeite mit Bildmaterial und erweitere Geschichten. Dabei entstehen während der Umsetzung neue Interessen. Die Interpretation liegt im Auge des Betrachters. Mein Ziel ist es, visuelle Ästhetik zu bieten und wichtige relevante Diskurse zu konfrontieren.
Ein Museum zu betreten, ist ein besonderes Erlebnis. Es gibt einem die Möglichkeit, eine Vielzahl von Kunstwerken, Objekten, Dokumenten und historischen Gegenständen zu erkunden, die uns eine bessere Verbindung zur Vergangenheit ermöglichen. Im besten Fall sollte es uns einen Einblick in die Kultur und die Traditionen der Menschen geben, die diese Kunstwerke geschaffen haben.
Das Museum ist ein Ort der Kultur und der Erforschung des Wissens. Es ist ein Ort, an dem wir uns mit der Geschichte sowie mit Kunst und Kultur einer bestimmten Epoche befassen können. Um die Geschichte und den Kontext besser zu verstehen, ist es wichtig zu sehen, wie ein Objekt in ein Museum gelangt ist, welchen Weg es zurückgelegt hat und welche Vorbesitzer und Käufer es vorher hatte. Um die Geschichte zu bestätigen, ist es spannend zu wissen, woher die Objekte stammen. Ein besonders bedeutender Aspekt ist die koloniale Geschichte der Kunst und der damit verbundene Raub von Kulturgütern. Wie kommen die Objekte ins Museum? Diese Frage wurde mir zwar hin und wieder beantwortet, aber bei weitem nicht immer. Die Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte und dem Raub von Kunstobjekten trägt dazu bei, eine umfassendere Perspektive auf die Herkunft und den Weg der Exponate zu gewinnen. Teilweise scheint es mir, als ob einige Museen versuchen, eine Art der Unsterblichkeit zu erlangen, indem sie das Geheimnis hinter dem Sammeln und Tauschen von Objekten verbergen.
Kritische Objekte, die im Museum ausgestellt werden, sind ein wichtiger Teil des Lernprozesses. Sie geben uns einen Einblick in die kulturelle Vielfalt und die komplexen Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Kulturen und Zeiten. Sie ermöglichen es uns, uns selbst in die Vergangenheit zu versetzen, um ein Verständnis für die Probleme und Herausforderungen früherer Generationen zu bekommen und diese besser zu verstehen. So können bereits gemachte Erfahrungen über lange Zeit übermittelt werden und bereits gemachte Fehler in der Gegenwart verhindert werden.