Kunst als Ausdruck von Widerstand: Pende-Kraftfiguren und -Anhänger
Michaela Oberhofer
17.03.2023
In den 1920er-Jahren wuchs die Unzufriedenheit der Bevölkerung der damaligen Kolonie Belgisch Kongo mit dem Kolonialstaat, was sich in offenen Revolten wie derjenigen der Pende manifestierte. Der Widerstand gegen den belgischen Kolonialstaat fand auch in der Kunst seinen Ausdruck. Besonders deutlich wird dies bei der Pende-Holzfigur, bei der es sich um das Porträt eines belgischen Kolonialbeamten namens Maximilien Balot handelt. Sein Seitenscheitel, die hohe Stirn und seine Uniform sind detailgetreu nachgebildet. Balot wurde 1931 in einen Konflikt zwischen dem Pende-Chief Matemo a Kelenge und dem brutalen Territorialagenten Edouard Burnotte hineingezogen und infolgedessen getötet.1 Bei den Pende waren Skulpturen selten naturalistisch gestaltet, und wenn doch, sollten sie Erstaunen und Erschrecken hervorrufen. So ist die Balot-Figur als ngunze («Killer») dargestellt, mit weit geöffneten, als gefährlich geltenden Augen und wütendem Gesichtsausdruck. Die Skulptur ist ein Kraftobjekt, um den Geist des belgischen Aggressors in eine Wächterfigur zu bannen und diese zum Wohle der Gemeinschaft einzusetzen [siehe Essay von Michaela Oberhofer im Katalog "Fiktion Kongo"]. Die Ermordung von Ballot markierte den Beginn der Pende-Revolte, die sich gegen die Repressalien der Kolonialmacht richtete und 1931 nach wenigen Monaten auf blutige Art und Weise von der belgischen Armee niedergeschlagen wurde.
Nach der Pende-Rebellion waren Ketten mit Anhängern in Form von kleinen Gesichtern bis zur Unabhängigkeit des Landes sehr verbreitet. Für ihre Schönheit geschätzt, waren sie zugleich ein Zeichen für die neu erstarkte Pende-Identität und den Zusammenhalt gegen die Kolonialherren.2 Himmelheber fotografierte zwei Männer mit solchen Anhängern und konnte eine Reihe von Miniaturmasken erwerben. Laut seiner Aussage wurden die Anhänger auch benutzt, um Krankheiten zu heilen.3 In einem Fall vermutete er, dass es sich bei dem Gesicht um ein Abbild des Mannes handeln könnte, der die Kette trug. Allerdings waren diese Gesichter keine wirklichen Porträts, welche die Pende mit Hexerei assoziierten. Deshalb vermieden die Schnitzer eine allzu detailgetreue Ähnlichkeit mit lebenden Personen. Vielmehr repräsentierten die Anhänger verschiedene Maskentypen der Pende, die an den unterschiedlichen «Frisuren» zu erkennen waren. Mehrheitlich waren die Miniaturmasken aus Elfenbein oder Nilpferdknochen hergestellt, daneben gab es aber auch Exemplare aus Holz oder importierten Materialien wie Aluminium oder Blei. Manchmal sind die Gesichter ganz abgenutzt, weil ihre Besitzer sie jahrelang mit Sand einrieben, um die Gelbtönung des Elfenbeins zu vermeiden und ein strahlendes Weiss zu erlangen – ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber den kleinen Schnitzereien.
Quelle:
Oberhofer, Michaela: Kunst als Ausdruck von Widerstand: Pende-Kraftfiguren und -Anhänger. in Nanina Guyer und Michaela Oberhofer (Hg.): Fiktion Kongo. Kunstwelten zwischen Geschichte und Gegenwart. Zürich: Museum Rietberg / Scheidegger & Spiess, 2019
1
Siehe dazu Weiss/Woodward/Strother, 2016.
2
Siehe Strother, 2008, S. 52.
3
Himmelheber, Tagebuch, Djingila, 25.5.1939 (Archiv Museum Rietberg Zürich).