Die Schöne und das Biest: Masken der Chokwe
Nanina Guyer
17.03.2023
Mit der Kolonialisierung verschwand die Tradition der Chokwe, wohlhabende Männer im Stil des Kulturhelden Chibinda Ilunga als hölzerne Figuren zu verewigen. Stattdessen konzentrierten sich die Künstler auf die Produktion von Masken. Wir kennen zwei unterschiedliche Maskentypen: Tanzmasken, deren Gesichtsstücke in einem naturalistischen Stil aus Holz geschnitzt sind, sowie die aus Harz geformten Wächtermasken der mukanda-Lager.
Hans Himmelheber traf während seiner Reise immer wieder auf diese verschiedenen Maskengestalten der Chokwe, fotografierte ihre Auftritte, erwarb Masken und befragte deren Erschaffer. Er notierte dabei auch deren Namen: Maliboka aus Kambaganungu, Allone aus Sakuhindika, Mamukepe.1 In diesen Interviews macht Himmelheber eine für die Kunstgeschichte bedeutende Entdeckung. Bei den pwo-Tanzmasken, die mit ihren anmutigen Gesichtszügen, den Tätowierungen und der Frisur die ideale Frau verkörperten, handelt es sich um eine Art Halbporträt, weil die Proportionen einem realen Frauengesicht nachempfunden sind. Ein Künstler erzählte Himmelheber, wie er sich diese Masse erschlich, ohne dass die Frau etwas davon mitbekam. Er gehe, so der Künstler, zu einem hübschen Mädchen und sage: «Oh, dein Gesicht ist viel länger als das meine.» Diese protestiere dann, man messe mit einem Zweigchen nach, und so habe er schon sein erstes Mass. Es folge der Abstand zwischen den Augen, zwischen Nase und Mund usw. «Wenn ich so schon meine Frau, meine Verlobte und meine Freundin porträtiert habe», sagte einer der von Himmelheber befragten Künstler, «so kann ich auch mal die Frau eines andern zum Vorbild nehmen. Ich bitte dann ihren Mann, mir die Masse zu beschaffen.»2
Pwo, die ideale Frau, wird von einem Mann getanzt. Dazu trägt er ein gewobenes Ganzkörperkleid und einen künstlichen Busen. Einmal hat Himmelheber sogar einen Tänzer gesehen, der «à la mode de la mission» seine Holzbrüste keusch mit einem Chiffon-Tüchlein verhüllt hatte.3 Solche Tanzmasken können auch Männer darstellen und sind dann in der Regel eckiger geschnitzt. Himmelheber erwarb eine von ihnen, auf der merkwürdigerweise aber eine sorgfältig gearbeitete Frauenperücke befestigt ist.
Der zweite Maskentyp der Chokwe, chihongo, wurde in den mukanda-Lagern aus geschwärzter Harzmasse und Pflanzenfasern hergestellt. Auf dem modellierten Gesicht sitzt ein geflochtener Kopfkorb, der mit Storchenfedern geschmückt ist. Sie waren die Wächtermasken der mukanda-Lager. Die Maskengestalten machten mit ihren hoch aufragenden Gesichtsmasken auch aus der Entfernung Eindruck. Eine ihrer Aufgaben war es, die Frauen mit ihrer furchteinflössenden Erscheinung abzuschrecken, weil die frisch beschnittenen Knaben keine Frauen sehen durften. Für den Auftritt wurde die Federfrisur dieser Maske mit einem Tuch geschmückt. Im Dorf von König Pero wohnte Himmelheber der Performance einer chihongo-Maske bei und hielt die grosse Lebendigkeit ihres Tanzes in beeindruckenden Fotografien fest [Abb. 379]. Nach dem Auftritt konnte er die Maske erwerben. Trotz den heute verblichenen Farben und des fehlenden Kostüms vermittelt sie immer noch einen Eindruck ihrer ursprünglichen Wirkung.
Quelle:
Guyer, Nanina: Die Schöne und das Biest: Masken der Chokwe. in Nanina Guyer und Michaela Oberhofer (Hg.): Fiktion Kongo. Kunstwelten zwischen Geschichte und Gegenwart. Zürich: Museum Rietberg / Scheidegger & Spiess, 2019
1
Himmelheber, 1939b.
2
Himmelheber, 1960, S. 340–341.
3
Fischer und Mayer-Himmelheber, 1993, S. 150.