Die Frage der Provenienz
Eine Präsentation in den Sammlungsräumen des Museums Rietberg befasste sich 2018 und 2019 mit Provenienzfragen, also mit der Herkunft der Objekte, Besitzerinnen und Besitzern und Erwerbskontexten. Seit 2008 wird am Museum Rietberg zu den Provenienzen geforscht, und nach zehn Jahren galt es, diese vergangene Tätigkeit Revue passieren zu lassen und einen Blick auf aktuelle Projekte zu werfen. Gleichzeitig beging das Museum das 20-jährige Jubiläum der 1998 verabschiedeten Washingtoner Prinzipien in Bezug auf NS-Raubgut – der regelrechte Auftakt für eine neue, auf Unrechtskontexte spezialisierte Provenienzforschung. Die Vermittlung von Erkenntnissen aus dieser Forschung wird damit Teil des Ausstellungsprogramms, das jenseits von kunsthistorischen Fragestellungen den Brüchen, Widersprüchen und Spannungsfeldern in den Sammlungsgeschichten nachgeht und diese angesichts der gesellschaftlichen Relevanz der interessierten Öffentlichkeit vermittelt.
Esther Tisa Francini
17.03.2023
«Die Frage der Provenienz» führte die Besucherinnen anhand von zehn Stationen durch die vielfältigen Sammlungen des Museums und beantwortete verschiedene Fragen: Was sind sensible Objekte? Was ist Raubkunst? Welche Objekte können als durch den Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter bewertet werden? Welche Erkenntnisse bieten frühe Ausstellungskataloge? Welche Geschichten erzählen die Schweizer Sammlerinnen und Sammler im Ausland? Wie verhalten sich archäologische Forschung, Kunsthandel und Museen zueinander?
Die Sammlungsintervention umfasste einen Rundgang durch die gesamte Präsentation der Sammlungen im Haus. Eine klare Wegführung und ein gut sichtbares Wiedererkennungsmerkmal waren notwendig. Als Schlüsselbild diente die Rückseite einer Gürtelmaske aus dem Königtum Benin, das als rundes Signal durch die Ausstellung führte und gleichzeitig die Plünderung des Königspalastes Benin 1897 durch die britische Kolonialmacht als die gewaltvollste Erwerbsform in den Blick nahm.
Mit dieser Sammlungsintervention wurde das Kuratieren von Provenienzen als Narrativ für Ausstellungen am Museum Rietberg weiter erprobt. Die Beschäftigung mit einer kritischen Sammlungsgeschichte, die auch politische, sozial- und wirtschaftshistorische Kontexte der Translokation von Objekten thematisiert, ist heute für Museen ein wichtiger Schritt in die Zukunft: Die Auseinandersetzung mit der Geschichte trägt dazu bei, gegenwärtige globale Fragen von Eigentum und Restitution zu verstehen. Historische Gerechtigkeit kann durch das Erzählen von Objektgeschichten, durch die Vermittlung diverser Erinnerungskulturen und transparentes Vermitteln gefördert werden. Hierzu leistete diese Sammlungsintervention einen Beitrag.
Die neunte Station mit dem Titel «Ethnologen als Sammler» befasste sich mit dem damals gestarteten Forschungsprojekt «Objekt – Text – Bild. Verflochtene Wissensproduktion in Hans Himmelhebers Archiv zwischen Kunst Afrikas, Ethnologie und globalem Markt». Dabei wurde die Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Tätigkeiten Himmelhebers gelegt, da er sowohl Wissenschaftler und Kunstethnologe als auch Händler und Sammler war.
In einer Vitrine präsentierte Archivalien zur fünften Forschungsreise von 1949/50 von Hans und seiner Frau Ulrike Himmelheber gaben Auskunft über Auftraggeber, Ausfuhrbewilligungen und erworbene Objekte. Die Vitrine wurde mit drei grossen Dan-Löffeln bestückt, zwei Webrollenhaltern und mehreren Bronzeobjekten zum Wahrsagen. Himmelhebers Fokus lag nicht nur auf «typischen» Kunstwerken wie Masken, die den im globalen Norden definierten Kanon der Kunst Afrikas repräsentieren. Als Kunstethnologe, Händler und Sammler interessierte er sich auch für andere Objekttypen wie Alltags- und Ritualgegenstände unterschiedlichster Materialien, sowohl als Untersuchungsgegenstand als auch als Verkaufsware.
Mehrere Fotografien kontextualisierten den Erwerb, das Forschen und das Reisen. Dazu kamen das Tagebuch von Ulrike Himmelheber sowie Dokumente zu organisatorischen Belangen der Reise. Drei Aufnahmen präsentierten Himmelhebers grösstes Interesse: die Beobachtung der Bildhauer bei ihrer Arbeit, also ihre Werkverfahren sowie das Erfragen ihrer künstlerischen Vorgehensweise und ihrer Technik.
Im Zentrum der Vitrine stand die Dissertation von Hans Himmelheber, «N–Künstler », aus dem Jahr 1935. Dabei handelt es sich um das handschriftlich annotierte Exemplar von Eduard von der Heydt, dem Gründungssammler des Museums Rietberg, der diese wissenschaftliche Publikation 1936 für seine Bibliothek erworben hatte. Von der Heydt setzte sich intensiv mit Himmelhebers Erforschung der afrikanischen Künstler auseinander. Er notierte sich Stellen im Buch, die auf sein eigenes Sammelkonzept der «ars una» verwiesen. Es ist wohl kein Zufall, dass das grosse «Archiv» von Hans Himmelheber dank seiner Familie die Gründungssammlung von Eduard von der Heydt im Museum Rietberg nun erweitert und so Bestände zusammenführt, die einen Bezug zueinander haben.
Download des Handouts zur Sammlungsintervention